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Gold im Dreck

Gold im Dreck

Es regnete, wir saßen zwischen Goldwäschern und hörten uns Geschichten über Grizzlybären an, die auf der Suche nach Fisch und Obst Hütten, Autos und Flugzeuge zerfledert hätten, ein Bär sei unters Bett gekrochen, an Bettfedern hängen geblieben, er habe sich los gerissen, sich an seinem Spiegelbild erschreckt, er habe die Tatze aufs Glas gedrückt, um eine Nachricht über seine Größe zu hinterlassen. Zwei Touristen hätten sich tot gestellt, der Mann habe zusehen müssen, wie das Tier seine Frau gefressen habe, ′Vielleicht hatte er seine Frau im Streit tot geschlagen, dem Bären vorgeworfen.′ Die Männer erzählte von Schwarzbären und Grizzlis, die sie mit Schüssen in die Luft über den Kopf hin vom Hof oder Weg vertrieben hätten, ich ärgerte mich, kein Gewehr zu haben, "Wir könnten nur Antimückenspray als Flammenwerfer benutzen." Ein kleiner Schwarzbär war nachts über die Winde und den Rammschutz auf unser Autodach auf- und abgestiegen, er hatte seine Schnauze ins Fenster geschoben, wir hatten schlaftrunken gesagt, dass er abhauen soll, ′Erst Atacken von tausenden Mücken, nun auch noch Bären′, er hatte sich wie ein Hund getrollt. ′War er jung, die Mutter in der Nähe?′ Wir sahen Spuren aufmerksam an, Braunbären konnten die Krallen einziehen, Grizzlybären nicht, wir lernten ihre Größe schätzen. In den Bergen hatte uns ein Erdhörnchen belästigt. Es hatte unsichtbar geschimpft, wir hielten es für einen Vogel, am zweiten Tag hatte es sich auf Steine gesetzt, aufgerichtet, zu uns gesehen und geschimpft, am dritten Tag kam es näher, biss in unsere sich selbstaufblasende Isoliermatte, fraß von unseren Vorräten und begann sich im Radkasten des Autos eine Höhle zu bauen. Wir wollten es nicht abschlachten, wir flohen.
Als wir mit dem Auto abstiegen, waren wir raus gewunken worden. Wir hatten Suchaktionen ausgelöst. Wir waren eines nachts entlang eines aufgewühlten Baches an Hütten vorbei gefahren. Ein Mann hatte sich die Hose angezogen, Kaffeewasser aufgesetzt, weil er geglaubt hatte, dass wir wegen der schlechten Wegverhältnisse nach zweihundert Metern umkehren müssen. Wir waren froh, Wege abseits der Highways gefunden zu haben. Er wartete fünf Tage.
Sie klaubten entlang des Silver Trails nicht Silber, sondern Gold. Ich hatte beim Pinkeln, neugierig um mich geblickt, nur Glimmer und Oxidschichten auf Steinen gesehen. Die Männer warfen schwarzen Sand mit Goldstaub in eine Pfanne, kippten Wasser drüber, ließen es kreisen, ich sah, wie sich das Gold vom Schwarz löste und spürte, dass meine Augen groß und glänzend wurden. Ich hatte gesagt, dass mich Gold nicht interessiert.
Wir wurden aufgefordert, uns einen Claim abzustecken. Ich sah mir die schweren Maschinen zum Erdeschieben, -heben, -transportieren, -abkippen und zum Wasserpumpen an und dachte, dass sie Geld kosten. Wir könnten sie bei Auktionen erwerben. Uns wurde eine Pfanne gereicht, wir durften Gold schürfen. Es regnete, das Thermometer zeigte sechs Grad. Ich zog einen Pullover über das Hemd, darüber eine Jacke, ich zog eine Hose über die Hose, Socken in gefütterte Gummistiefel und fröstelte. Es machte keine Lust, Dreck ins Wasser zu schütten, in Wasser zu greifen.
Der Hang war durchsucht worden. Er wurde erneut durchsucht. In den Plasteschüsseln lösten sich vereinzelt Quecksilberperlen aus der Erde. Sie wurden kreisend über Goldspuren geführt und nahmen sie auf. Wenn ausreichend Goldkrümelchen in Quecksilber gebunden waren, kam es in den Behälter einer Stahlapparatur, wurde erhitzt, verdampft, abgekühlt, im Wasser aufgefangen. Das Gold blieb im Behälter zurück. "Warum schürfst du Gold?" - "Weil ich den Bauch beim Schippen verliere", "Für meine Kinder", sagte Frank, "Sie sollen es besser haben", der dritte erklärte, "Du arbeitest für dich. Niemand weiß, wie viel du erarbeitet hast", griff in die Hosentasche und legte zwei kirschgroße Klumpen auf den Tisch. Sie sprachen deutsch. Sie waren aus Deutschland gekommen, hatten sich in Deutschen Clubs deutsche Frauen gesucht, und waren alt geworden. Ihre Frauen trugen Schmuck aus Silber, sie kochten und hielten die Zimmer sauber. Frank war geschieden. Er lebte so liederlich, dass keine Frau hatte bleiben wollen. Im Fenster der Baracke das Foto eines Mädchen, "Deine Tochter?" - "Meine Freundin", sagte er. In der Stadt steige sie in sein Auto, um ihren Freundinnen aus dem lederausgekleideten Caprio zuzuwinken. Ich wischte seinen Tisch ab, wusch sein Geschirr, kochte. Er wollte, dass wir bleiben. Er würde uns die Nachbarhütte herrichten, Gas, Wasser anschließen. Er sah, dass ich fror und schaltete den Ölofen an. Wir könnten die Nachbarhütte heizen. Sie war baufällig, die Decke löchrig. Er hatte in seine Hütte Dusche und Wasserklo installiert, es regnete während dem Pinkeln von der Decke. ′Wir müssten als erstes die Dächer decken.′ Der Claim über und unter ihm wirkte verwaist. Er lebte neben Stachelschweinen, die Hütten annagten und sich von Tabascosauße nicht abschrecken ließen, und Erdhörnchen, die durch jedes Lüftungsloch in Räume krochen. Er hatte sich in die Schwalben verliebt, die unter dem Dach nisteten. Er war ein einsamer alter Mann geworden, der keinen Alkohol im Haus hatte, aber heißhungrig nach Süßigkeiten war, zum Einschlafen eine Schlaftablette schluckte. Er hatte in Bergwerken gearbeitet, Autos und Mädchen geliebt. Er habe, als Maria Brauer ihn verführen wollte, ihr Liebhaber zu werden, abgelehnt: "Ich habe selbst genug Geld." Er habe sie in Frankfurt begleitet, als sie in Puffs, Diskotheken und Pizzerien Geld eingesammelt habe, als er am Morgen aufgewacht sei, habe sie noch immer auf dem Fußboden gesessen und Geld gezählt. Er hatte sich von Männern verführen lassen, eine Aktiengesellschaft, Minengesellschaft, zu gründen, in den Bergen zu schürfen, den Anlegern Erzfunde vorzulegen, der Aktienwert stieg, er machte Profit; er wusste, dass an den Fundorten keine Minen angelegt werden können, weil es in den Bergen keine Straßen gibt. Er ließ sich von Männern überreden, in einer Steueroase eine Bank zu gründen, ein Barkeeper warnte ihn, er war abgereist, als seine Gefährten als Schwerverbrecher verhaftet wurden; sie hatten ihn gebraucht, weil er ein tadelloses Führungszeugnis vorlegen konnte. Er wollte nicht als Gauner sondern als "guter Deutscher" leben, er schabte und fuhr dreimal täglich zehn Ladungen Erde vom Bachhang auf die Sluicebox, Wasser schwemmte den Dreck über Gitter und Filzmatten, sie wurden nach vierzehn Tagen gereinigt, das Gold raus gelöst. Zwei Tage in der Woche nahm er frei. Es ärgerte ihn, dass eine Firma, die Goldstückchen in Goldbarren schmolz, die Barren aufbewahrte, sich für Bankrott erklärt hatte, er habe cirka zwanzigtausend Dollar verloren; er behauptete, der Geschäftsführer sei Jude gewesen. "Es gibt auch deutsche Gauner." In den Bergen sank die Temperatur im Winter gelegentlich auf minus sechzig Grad. Er verbrachte den Winter in einer Einraumwohnung eines Hochhauses am Meer, er sah im Fernsehen politische Sendungen an, las Bücher und recherchierte im Internet. Er war als Junge von Deutschland nach Canada zu seinem kommunistischen Onkel gereist, der hatte Menschen, die anders redeten als er, gelegentlich mit dem Gewehr bedroht und eines Tages das Haus, in dem er wohnte, angezündet. Frank hatte schockiert reagiert, als er in Amerika SS beschimpft wurde, "obwohl ich damals ein Kind war" und als er mit "Greuelgeschichten über Deutsche" konfrontiert wurde, die er nicht glauben wollte - Nationalsozialismus war für ihn Hitler, ein Führer, der geglaubt habe, was er sagte, und deshalb überzeugend gewesen sei, der "außer einer Mark" kein Gehalt vom Volk angenommen, Standesschranken weg gewischt habe,... der Gruppenführer der Hitlerjugend habe ihn vor dem Religionslehrer beschützt, der ihn im Klassenraum verprügelt habe, nur weil er einem Mädchen ein Briefchen geschrieben hatte. Frank habe Fotos gesehen, auf denen an amerikanischen Hauswänden gestanden habe, "′Rettet die vier Millionen Juden in Europa′, wie kann es dann sechs Millionen tote Juden in Deutschland gegeben haben?" Er war überzeugt, dass es eine Zionistische Verschörung gibt. Er berief sich auf Aussagen von Juden und Geheimdienstlern. Er unterschied zwischen Juden und Zionisten, die ursprünglich Karsaren gewesen wären, und sich für die jüdische Religion entschieden hätten, weil sie ihnen nützlich schien. Der Geheimdienst Mossad agiere ohne Absprachen mit der israelischen Regierung. Ich grübelte, ob ich sagen sollte, dass in seinem Denksystem Hitler der bedeutendste Zionist wäre, denn er hatte Deutschland in die Situation, in der es seiner Meinung nach "Werkzeug der Zionisten" geworden war, gebracht; mir fiel ein, dass es am Grundsystem seines Glaubens nichts ändern würde, in bestätigen könnte, er glaubte, dass Hitler Halbjude war. Frank war überzeugt, dass der Einsturz der Türme in New York sprengtechnisch nicht von einem Flugzeug ausgelöst worden sein kann, "es lagen auch keine Flugzeugteile im Pentagon rum", sagte sein Nachbar, die amerikanische Rüstungsindustrie habe nach dem Zusammenbruch Russlands ein neues Feindbild gebraucht, der CIA habe einige Moslems aufgehetzt und missbraucht. Zionisten hätten die Presse in Amerika und Deutschland aufgekauft. Ein anderer Goldwäscher, der aus Deutschland abgehauen war, weil die Wehrpflicht nach dem zweiten Weltkrieg wieder eingeführt worden war, "als hätten die Deutschen nicht gelernt", ergänzte, dass ein canadischer Journalist entlassen worden sei, weil er sich gegen die Israels Politik geäußert habe, "gegen Araber darfst du alles sagen." Ein anderer beugte sich vor: "Der Zusammensturz der Türme in New York war am 11.9.2001, zähle die die Zahlen zusammen - 23, Quersumme 5. Die Hiroshimabomben fielen am 6. und 9. 8. adiert 23, Quersumme - Fünf ist die Zahl der Illuminaten, das Pentagon." ′Der Stern der Juden ist sechseckig.′ Im Agententhriller, den ich halbzerfetzt gefunden hatte, war wiederum der Rabbi ein deutscher SS-Mann gewesen, der sich mit der Legende, ein jüdischer Überlebender von Vernichtungslagern in Deutschland gewesen zu sein, getarnt hatte, und mittels einer Mafia illegalen Einwanderern in Amerika auflauerte, sie erpresste, einsperrte, für sich arbeiten ließ. Ich hatte einen Agententhriller begonnen, um Geld verdienen und so leben zu können, wie ich mir das Leben eines Autors vorgestellt hatte - selbstbestimmt. Ich hörte mir die Thesen kopfschüttelnd an, ′Welche muss ich spinnen, den Roman spannend zu machen, Irritationen auszulösen, Geld verdienen zu können?′

Ich hörte in Kanada: "Die Ausländer müssen aus Deutschland raus." Sie waren als Ausländer nach Canada gekommen, laut Pass Canadier geworden und innerlich Deutsche geblieben. Sie hatten von irgendwoher Brot, das wie deutsches Brot schmeckte, und von irgendwoher Bockwurst, die nach deutscher Bockwurst schmeckte; - ich genoss es. Mich ärgert nicht, dass Ausländer nach Deutschland strömen, ich bin für Chancengleichheit, mich ärgert, dass ich nicht abhauen könnte, falls es mir zu eng und überreglementiert in Deutschland würde. "Wer ein Bleiberecht in Canada haben will, muss 300 000 Dollar auf dem Konto nachweisen. Soviel Geld haben die Mafiosis für ihre Leute." Ich könnte Gold schürfen, mit dem Ziel, 300 000 Dollar zu verdienen, ich müsste es heimlich tun, denn es ist auch in Kanada kriminell, ohne staatliche Erlaubnis zu arbeiten. Ich dürfte Goldwaschen - spielen. ′Ich muss einen Agententhriller schreiben. Aber - wer gegen wen?′

 

 


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